VERIS - Entscheidungen  Oberlandesgerichte  OLG Schleswig  2019 

OLG Schleswig, Beschluss vom 22.01.2019, 54 Verg 3 / 18

Leitsatz (redaktionell):

  1. Ein beigeladenes Unternehmen ist durch die Entscheidung der Vergabekammer beschwert, wenn die Vergabekammer der Vergabestelle aufgegeben hat, das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und deswegen das beigeladene Unternehmen eine Wertung seines bisherigen Angebotes nicht mehr beanspruchen kann.
  2. Eine Grenze findet die Rügeobliegenheit erst bei rechtlich komplexen und durch die Rechtsprechung noch nicht vollständig geklärten Fragen.
  3. Es überfordert keinen Wettbewerbsteilnehmer, zu erkennen, dass die Vergabeunterlagen an keiner Stelle Angaben zu Mindestanforderungen für eventuelle Nebenangebote enthalten. Daher begründet dies eine Rügeverpflichtung.
  4. Ein Unternehmen muss die fehlende Angabe von Mindestanforderungen für zugelassene Nebenangebote auch dann rügen, wenn es selber gar keine Nebenangebote abgeben will. Diese Rügeobliegenheit ist unabhängig davon, ob sich der gerügte Mangel gegebenenfalls sogar zu Gunsten des rügenden Unternehmens auswirken könnte.
  5. Rügt ein Unternehmen einen bestimmten Sachverhalt und bildet sich nachträglich unter seiner Beteiligung eine Bietergemeinschaft, muss sich die Bietergemeinschaft diese Rüge ausdrücklich zu eigen machen und aufrechterhalten, damit ihre eigene Rügeobliegenheit insoweit erfüllt ist.
  6. Es kommt nicht zu einem automatischen „Zuwachsen“ der einmal erklärten Rüge an die später gebildete Bietergemeinschaft.
  7. Diese Rüge eines Dritten hat keine Auswirkungen auf die Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrages, dem keine entsprechende Rüge des Antragstellers vorhergeht.
  8. Eine unterlassene Rüge und die daraus folgende Präklusion kann nicht dadurch überwunden werden, dass die betroffenen Rechtsverstöße von Amts wegen aufgegriffen werden. Insoweit ist weder ein Ermessen der Nachprüfungsinstanzen eröffnet noch besteht die Möglichkeit, diese Beanstandung im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes aufzugreifen.
  9. Auch Folgefehler, die auf einem von der Präklusion erfassten Vergabefehler beruhen, können im Nachprüfungsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden. Ein solcher Folgefehler liegt beispielsweise vor, wenn wegen fehlender Mindestanforderungen an Nebenangebote nicht festgestellt werden kann, ob Nebenangebote den Vorgaben des Auftraggebers entsprechen.
  10. Die Sektorenverordnung enthält für offene Verfahren kein ausdrückliches Nachverhandlungsverbot. Unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze schließt dies dennoch Änderungen eines Angebotes aus, die das Wettbewerbsergebnis eines Vergabeverfahrens verfälschen würden, wie dies insbesondere bei wesentlichen Leistungs- oder Preisänderungen der Fall ist.
  11. Zulässig ist hingegen die Vornahme von Änderungen geringen Umfangs, soweit sie sich auf das Wettbewerbsergebnis nicht entscheidend auswirken und der faire und diskriminierungsfreie Wettbewerb nicht gefährdet wird.
  12. Nachverhandlungen über Nebenangebote im Sektorenbereich sind jedenfalls im gleichen Rahmen wie nach § 15 Abs. 3 VOB/A zulässig.
  13. Eine Dokumentation ist nicht erst dann ordnungsgemäß, wenn die abgebildeten konkret erfolgten Überlegungen auch noch inhaltlich nachvollziehbar sind.
Zitierung:
OLG Schleswig, 22.01.2019, 54 Verg 3 / 18
Bundesland:
Schleswig-Holstein
Fundstelle:
NZBau 7/2019, S. 480