BtPrax – Betreuungsrechtliche Praxis  Jahrgang 2017  BtPrax 4/2017  Aufsätze 

Zeitschrift:
BtPrax - Betreuungsrechtliche Praxis
Autoren:
Horst Deinert/Kay Lütgens
Beitragstyp:
Beitrag
Ausgabe:
4/2017 Seiten: 135 bis 141

Die Stellung von Betreuern und (Vorsorge-)Bevollmächtigten gegenüber Behörden

Horst Deinert Dipl.-Verw.wirt/Sozialarbeiter

Kay Lütgens Rechtsanwalt, Justiziar des BdB e.V.

„Behördenangelegenheiten“ ist ein häufig bei Betreuerbestellungen angeordneter Aufgabenkreis,1Bei beruflichen Betreuern sehr oft (78 %) oder oft (19 %) angeordnet; vgl. Engels/Matta/Mauer/Schmitz (ISG), Qualität in der rechtlichen Betreuung, Zweiter Zwischenbericht, Köln, 2016, S. 29/30, abrufbar: http://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF/Berichte/2_Zwischenbericht_Qualitaet_Betreuung.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (Zugriff: 18.6.2017). und auch bei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht gehört häufig auch die Vertretung gegenüber Behörden zum Umfang der Vollmachtserteilung. Schon im „gesunden“ Zustand haben viele Bürger/-innen Probleme im Umgang mit Behördenbescheiden, weil sie deren Inhalt und besondere Sprache, das immer noch oft verwendete „Beamtendeutsch“ nicht verstehen und vor allem Mitwirkungsanforderungen von Behörden nicht verstehen oder akzeptieren können.2Vgl. OLG Schleswig, NJWE-FER 1997, 105 = FamRZ 1997, 1427 (beim ehrenamtlichen, rechtlich unerfahrenen Betreuer). Betreuer machen oft die Erfahrung, dass der Umgang mit Behörden(-Mitarbeitern) nicht weniger Schwierigkeiten bereitet als die Kommunikation mit erheblich beeinträchtigten betreuten Menschen.

I. Grundlegendes

1. Der Rechtsstatus von Betreuern und Bevollmächtigten

Der Rechtsstatus von Betreuern gegenüber Behörden ist bisweilen auch den Mitarbeitern der Behörden nicht geläufig, das Gleiche gilt für den Status eines für den Beteiligten auftretenden Bevollmächtigten. Hierbei gibt es auch noch deutliche Unterschiede, die sich an den verschiedenen Funktionen der beiden Vertretungsformen festmachen, aber auch mit einer situativen Geschäftsunfähigkeit des Beteiligten zu tun haben.

Ebenfalls nicht immer bekannt ist die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber der Behörde, wenn für ihn eine Betreuung eingerichtet worden ist. Grundsätzlich ändert die Einrichtung der Betreuung auch hier nichts an seiner rechtlichen Handlungsfähigkeit.

Aus den §§ 11 Abs. 3 SGB X, 16 Abs. 3 VwVfG und 81 Abs. 3 AO – jeweils i.V.m. § 53 ZPO, der laut diesen Vorschriften sinngemäß anzuwenden ist – folgt aber, dass ein Bürger in Verwaltungs- und Sozialverfahren nicht mehr selbst handlungsfähig ist, wenn er

  • geschäftsunfähig ist oder

  • ein Einwilligungsvorbehalt besteht, der den Gegenstand des Verfahrens betrifft oder

  • der Betreuer – z.B. durch einen stellvertretend gestellten Antrag auf Sozialleistungen – in das Verfahren eintritt.

Man kann diese Regelungen für kritikwürdig halten – schließlich kann ein Betreuer selbst einen geschäftsfähigen Betreuten, für den das Gericht keinen Einwilligungsvorbehalt beschlossen hat, durch den bloßen Eintritt in ein Verwaltungs- oder Sozialverfahren für diesen Bereich einem Geschäftsunfähigen gleichstellen. Es ist zweifelhaft, ob dies mit dem Grundgedanken des Betreuungsrechts – die Betreuung soll vorrangig eine Unterstützung und keine Bevormundung sein, deshalb führt die Einrichtung einer Betreuung im zivilrechtlichen Bereich auch lediglich zu einer sogenannten Doppelzuständigkeit und gerade nicht zur Geschäftsunfähigkeit – vereinbar ist. Diese Regelungen sind zurzeit aber nun einmal geltendes Recht, und man muss sich Gedanken darüber machen, wie sie anzuwenden sind, um das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen möglichst weitgehend zu wahren.

2. Was fällt unter den Begriff der Behörde

Dem Verwaltungsverfahrensrecht (VwVfG des Bundes und der Länder, SGB X und AO) liegt ein funktionaler Behördenbegriff zugrunde: § 1 Abs. 4 VwVfG (Bund) und § 1 Abs. 2 SGB X bestimmen, dass alle Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen, also weder Gesetzgebung noch Rechtsprechung sind, als Behörden bezeichnet werden.3Schmalz/Hofmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 5. Aufl., Teil 1, S. 18; BSGE 107, 123; OVG NRW, Urteil vom 15.1.2014 – 8 A 467/11. Dabei ist „Stelle“ als organisatorische Einheit zu verstehen, d.h. als dauerhaft angelegte Zusammenfassung von Personal- und Sachmitteln und damit als ein Organ einer Körperschaft oder Anstalt (des öffentlichen Rechts). Klassischerweise handelt es sich um Einrichtungen des Bundes (z.B. Arbeitsagentur, Jobcenter), des jeweiligen Bundeslandes (z.B. Finanzamt, Landesamt für Soziales u.Ä.) oder der Kommunen (Stadt- und Kreisverwaltungen, z.T. als Landratsämter bezeichnet).

Auch weitere Sozialleistungsträger (nach dem SGB I), wie die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen, Rentenversicherungen, Unfallversicherungsträger), die als Selbstverwaltungseinrichtungen über einen eigenen Verwaltungsaufbau und eine gewisse Selbständigkeit verfügen, fallen verfahrensrechtlich unter den Behördenbegriff,4Differenzierend Jansen, SGG, § 70 Rn. 14 ff. so dürfte es auch beim Betreueraufgabenkreis „Behördenangelegenheiten“ zu verstehen sein.

3. Betreueraufgabenkreis

Allerdings ist es im Rahmen des Erforderlichkeitsprinzips im Betreuungsrecht (§ 1896 Abs. 2 BGB) auch möglich, dass der Betreuer vom Aufgabenkreis lediglich gegenüber Sozialleistungsträgern/Sozialleistungsbehörden oder einzelnen davon (wie dem Sozialhilfeträger) für zuständig erklärt oder dass seine Aufgaben inhaltlich auf Sozialleistungsansprüche/sozialrechtliche Ansprüche beschränkt werden. Problematisch ist dabei die Formulierung „Vertretung gegenüber (Ämtern und) Behörden“, weil sie sich nach Auffassung der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht inhaltlich versteht, also anders als „Behördenangelegenheiten“ kein eigener Aufgabenkreis ist, sondern nur eine (unschädliche, aber unsinnige) Wiederholung der in § 1902 BGB beschriebenen gesetzlichen außergerichtlichen Vertretungsfunktion des Betreuers darstellt.5OLG Brandenburg, Beschluss vom 20.12.2011 – 10 UF 217/10; KG, FamRZ 2008, 919 = Rpfleger 2008, 256 = FGPrax 2008, 62; BGH, BtPrax 2015, 113 = FamRZ 2015, 649.

Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass es sich bei der Vertretung nicht um einen Aufgabenkreis, sondern lediglich um die Befugnis zur Vertretung innerhalb des übertragenen Aufgabenkreises handelt. Nach heutigem Verständnis ist § 1902 BGB nicht so zu verstehen, dass grundsätzlich die Vertretung die Aufgabe des Betreuers ist. Er hat vielmehr vorrangig andere Formen der Unterstützung, vor allem die Beratung, zu wählen. Schließlich heißt es in § 1901 Abs. 4 BGB: „Innerhalb seines Aufgabenkreises hat der Betreuer dazu beizutragen, dass Möglichkeiten genutzt werden, die Krankheit oder Behinderung des Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mildern.“ Der Betreuer hat also darauf hinzuwirken, dass der Betreute seine Angelegenheiten im Rahmen des Möglichen selbstständig erledigt, dabei hat er ihn zu unterstützen. Eine generelle Vertretung i.S.e. stellvertretenden Entscheidung wäre mit diesem Ziel nicht vereinbar und kommt deshalb nur als Ultima Ratio in Betracht – sie kann deshalb dem Betreuer auch nicht per Beschluss verpflichtend als Form der Erledigung seiner Aufgaben vorgeschrieben werden.

Der auch zu findende Betreueraufgabenkreis „Versicherungsansprüche“ richtet sich im Wege der Auslegung auf Ansprüche des Bürgers gegenüber der Sozialversicherung (gesetzliche Krankenversicherung nach SGB V, Rentenversicherung nach SGB VI, Unfallversicherung nach SGB VII und Pflegeversicherung nach SGB XI sowie Arbeitslosenversicherung nach SGB III). Nicht umfasst sind allerdings Fürsorgeleistungen wie ALG II oder alle Formen der Sozialhilfe. Auch dürften private Versicherungsverhältnisse zum Versicherungsbegriff gehören (wie die private Krankenversicherung, aber auch Lebensversicherung und Sachversicherungen). Für diese privaten Versicherungsverhältnisse (im Wesentlichen nach dem VVG) gelten die nachstehenden Ausführungen nicht.

Zu einzelnen behördlichen Angelegenheiten haben sich (vor allem im Zusammenhang mit Haftungsfragen von Betreuern) Gerichte zum zuständigen Betreueraufgabenkreis geäußert. Das ist besonders von Bedeutung, wenn „Behördenangelegenheiten“ nicht ausdrücklich erwähnt werden. So hat das BSG den Aufgabenkreis „Gesundheitssorge“ als ausreichend angesehen, um den Betreuer zu einer Beitrittserklärung zur freiwilligen Krankenkassenmitgliedschaft zu verpflichten;6BSG, BtPrax 2003, 172 (mit Anm. Meier, 173) = FamRZ 2002, 1471 (mit Anm. Bienwald). der BFH sah den Aufgabenkreis „Vermögenssorge“ als maßgeblich für steuerliche Erklärungspflichten nach § 34 AO an;7BFH/NV 2006, 897; vgl. auch Deinert/Römer, Betreuung und Steuerrecht, BtPrax 2010, 212 und 268. dieser Aufgabenkreis berechtigt und verpflichtet Betreuer auch zu Rentenanträgen.8LG Berlin, BtPrax 2001, 83 und BtPrax 2001, 215 = FamRZ 2002, 345; LG Köln, FamRZ 2006, 1874; vgl. auch Deinert, Rente und Betreuung, BtPrax 2012, 106. Andererseits soll dieser Aufgabenkreis ungeeignet für die Geltendmachung von Sozialhilfe sein.9LG Köln, FamRZ 1998, 919 mit Anm. Bienwald FamRZ 1998, 1567; zumindest zweifelnd: OVG, NRW FamRZ 2001, 312 = NJW 2001, 91.

Der Aufgabenkreis „Vermögenssorge“ berechtigt den Betreuer nicht zur Strafantragsstellung bei der Staatsanwaltschaft gegen Angehörige des Betreuten.10OLG Hamm, NJW 1960, 834 und Beschluss vom 3.5.2007 – 4 Ws 209/07, FamRZ 2007, 1842 = NStZ 2008, 119; LG Hamburg, NStZ 2002, 39; OLG Köln, wistra 2005, 392; OLG Hamm, NStZ 2008, 119; KG Berlin, Beschluss vom 21.3.2001 – 1 AR 239/01 und 5 Ws 103/01. Diese Ansicht ist in letzter Zeit wieder strittig geworden.11LG Ravensburg, FamRZ 2001, 937; BGH, NJW 2014, 2968 = NStZ 2014, 637. Das OLG Hamburg hat erneut bestätigt, dass der Aufgabenkreis „Vertretung gegenüber Behörden“ für Strafverfahren o.Ä. zu unspezifisch ist.12OLG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013 – 2 Ws 25/13, 2 Ws 23–25/13, 2 Ws 23/13, 2 Ws 24/13, 2 Ws 23–25/13 – 605 StVK 13–15/13.

Direkt aus dem Gesetz ergibt sich, dass für melde- und ausweisrechtliche Angelegenheiten der Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung maßgeblich ist.13§ 17 BMG, § 9 BPersAG; vgl. auch Deinert, Der Betreuer im Ausweis-, Pass- und Melderecht, BtPrax 2011, 57. In jedem Falle gegenüber Behörden aller Art vertretungsberechtigt ist natürlich der Betreuer, dessen Aufgabenkreis alle Angelegenheiten umfasst.

II. Welche Formulierung ist in einer Vollmacht nötig?

Das Musterformular des BMJV zur Vorsorgevollmacht14Online unter: https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Formulare/Vorsorgevollmacht.pdf (Zugriff: 16.6.2017). wählt die Formulierung „Sie [die bevollmächtigte Person] darf mich bei Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern vertreten.“ Auch eine Generalvollmacht dürfte ausreichend sein. Eine der Betreuungsbedürftigkeit ähnliche Situation (§ 1896 Abs. 1 BGB) muss nicht eingetreten sein. Der Betroffene kann sich in jeder Lage der Hilfe eines Bevollmächtigten bedienen. Es sind aber die Grenzen des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) zu beachten. Hiernach ist außerhalb von rechtsberatenden Berufen nur eine unentgeltliche Vollmachtstätigkeit (mit eigenständigen rechtlichen Prüfungs- und Entscheidungsbefugnissen) im familiären, nachbarschaftlichen und ähnlich engen sozialen Umfeld zulässig (§ 6 Abs. 2 RDG), ohne dass die Aufsicht eines Volljuristen notwendig wird.

Für die Vollmacht gegenüber Behörden ist keine spezielle Form nötig. Allerdings gestattet § 13 SGB X (sowie §§ 16 VwVfG und 81 AO) es der Behörde, auf die Vorlage einer schriftlichen Vollmachtsurkunde zu bestehen. Unterschrifts- oder Handzeichenbeglaubigung (§ 126 BGB) durch die Urkundsperson der Betreuungsbehörde (§ 6 Abs. 2 BtBG), eine nach Landesrecht zuständige Stelle15Z.B. Ortsgericht in Hessen, Gemeindeverwaltung in Rheinland-Pfalz, Ratsschreiber in Baden-Württemberg. oder einen Notar (§ 40 BeurkG) ist für die Akzeptanz der Vollmacht gegenüber einer Behörde von Vorteil.

Die vom Bundesrat mit BT-Drs. 18/10485 vorgeschlagene Regelung eines Ehegattenvertretungsrechts auch gegenüber Behörden in Gesundheitsangelegenheiten (§ 1358 Abs. 4 BGB i.d.F. des BR-Entwurfs) hat der Bundestag durch Beschluss vom 18.5.2017 nicht geteilt (BT-Drs. 18/12427). In der vom Bundestag verabschiedeten Fassung ist nur noch eine vollmachtsunabhängige Vertretung gegenüber Ärzten vorgesehen.

III. Auswirkung der Geschäftsunfähigkeit

Für die Stellung des Betreuers gegenüber der Behörde kommt es auch auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten (§§ 104, 105 BGB) an, da der öffentlich-rechtliche Begriff der „Fähigkeit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen“, auch als Handlungsfähigkeit bezeichnet, der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit folgt. Die Betreuerbestellung selbst beeinträchtigt die Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen nicht, kann aber Anlass sein, diese näher zu hinterfragen. In einigen Fällen ist für jeden erkennbar Geschäftsunfähigkeit gegeben, z.B. bei Betreuten im komatösen Zustand oder bei schwerster geistiger Behinderung. Meist ist es jedoch nicht eindeutig, sodass von Geschäftsfähigkeit bis zum Beweis des Gegenteils auszugehen ist.

Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des § 104 Nr. 2 BGB sieht vor, dass Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen die Regel, Geschäftsunfähigkeit die von dem dies Behauptenden zu beweisen, die Ausnahme ist.16BGH, NJW 1977, 623; BVerwG, NJW 1994, 2633 und DVBl. 1986, 146; BayVGH, BayVBl 1984, 757; BSGE 86, 107. Die Frage nach der Geschäftsunfähigkeit bezieht sich auch immer nur auf eine konkrete Handlung. Bei Behördenangelegenheiten wäre also zunächst der damit betraute Behördenmitarbeiter für die Einschätzung zuständig; im Streitfall die entsprechende Gerichtsbarkeit, also VG, SG oder FG.

Der Betreuer sollte sich zuvor eine eigene begründete Meinung bilden. Hierbei ist vor allem auf die Feststellungen des Betreuungsgerichts zur Fähigkeit zur freien Willensbildung (§ 1896 Abs. 1a BGB) im Bestellungsbeschluss zurückzugreifen, hilfsweise auf die Feststellungen des Sachverständigen im Betreuungsgutachten (§ 280 FamFG), in welches der Betreuer Einsicht nehmen kann (§ 13 Abs. 1 FamFG). Die Klärung dieser Frage kann vor allem dann eine Rolle spielen, wenn vor der Betreuerbestellung oder auch danach ohne dessen Kenntnis nachteilige Behördenentscheidungen dem Betreuten zugegangen sind und die Frage des Beginns oder Ablaufs von Rechtsmittelfristen im Raum steht. Nur einem Geschäftsfähigen können Behördenbescheide wirksam bekannt gegeben werden.17FG Niedersachsen, BtPrax 2003, 230 = FamRZ 2003, 1511 = EFG 2002, 156; VG Düsseldorf, Urteil vom 2.12.2005 – 13 K 1434/04; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.3.2003 – L 1 AL 46/01. Auf die Kenntnis der Behörde vom Mangel der vollen Geschäftsfähigkeit kommt es dabei nicht an.18Engelhardt/Arp/Schlatmann: VwZG, 7. Aufl., § 6 Rn. 1; Sadler, VwZG, 4. Aufl., § 7 Rn. 2.

Ein Geschäftsunfähiger kann auch keine Anträge bei Behörden wirksam stellen oder andere formale Erklärungen, wie Steuererklärungen, abgeben. Im Sozialrecht sind nahezu alle Ansprüche antragsgebunden, z.B. Sozialversicherungsleistungen, auch ALG II und Grundsicherung für erwerbsgeminderte und alte Menschen (nach dem Vierten Kapitel des SGB XII). Lediglich die „klassische“ Hilfe zum Lebensunterhalt (Drittes Kapitel nach SGB XII) und die Hilfen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII (Sozialhilfen in besonderen Lebenslagen) sind von einem Antrag nicht abhängig,19Ab 1.1.2020 ist im Rahmen des BTHG auch Eingliederungshilfe (dann nach § 108 SGB IX) antragsabhängig. hier kommt es nur auf die Bekanntgabe einer Notlage an, diese kann auch ein Geschäftsunfähiger (oder ein anderer nicht formal Beteiligter) bekannt geben. Allerdings lässt dieses fehlende Antragserfordernis die Notwendigkeit der Betreuerbestellung entgegen einer gerichtlichen Auffassung in der Regel nicht entfallen, weil für die sozialrechtliche Mitwirkung und den wirksamen Bescheidempfang ein Vertreter benötigt wird.20A.A: LG Duisburg, BtPrax 2004, 156.

IV. Einwilligungsvorbehalt und Behörden

Die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts (§ 1903 BGB) führt zunächst auch zu einer Einschränkung der Handlungsfähigkeit gegenüber Behörden. Allerdings kann der Betreuer diese Beschränkung durch eine Einwilligung wieder beseitigen. Speziell zu „Behördenangelegenheiten“ kann ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden, wenn der Betroffene krankheitsbedingt dazu neigt, eine Vielzahl solcher Verfahren zu betreiben und sich dadurch finanziell zu schädigen droht.21KG, BtPrax 2007, 84 = FamRZ 2007, 1127; weiter differenzierend KG, FamRZ 2008, 1114. Betrifft ein Einwilligungsvorbehalt den Gegenstand des Verfahrens (vgl. weiter oben zum Aufgabenkreis ggü. Behörden), ist ein ansonsten geschäftsfähiger Betreuter nur insoweit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig, als er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ohne Einwilligung des Betreuers handeln kann oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt ist.

Während es im öffentlichen Recht derzeit keine speziellen Regelungen für Volljährige gibt, kommt im BGB Folgendes infrage:22Vgl. Bienwald, Zur Vertretung des Betreuten gegenüber Behörden, BtPrax 2003, 71.

  • Es geht die Verwendung von Geldern, die der Betreuer allgemein oder zu bestimmten Zwecken zur Verfügung gestellt hat (sogenanntes Taschengeld, § 110 BGB); bei Behördenangelegenheiten dürfte das kaum vorkommen.

  • Der Betreute ist vom Betreuer nach §§ 112 oder 113 BGB ermächtigt worden. In solchen berufsbezogenen Fragen ist er dann auch gegenüber der Behörde handlungsfähig, z.B. bei einer Gewerbeanmeldung oder -untersagung.

  • Der Betreute bedarf weiterhin nicht der Einwilligung seines Betreuers, wenn er durch die Handlung lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt. Im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sind lediglich vorteilhaft: die Stellung eines Sozialleistungsantrags (§§ 16 ff. SGB I); der Antrag auf Akteneinsicht (§ 25 SGB X) und das Einlegen eines Widerspruchs (sogenanntes Vorverfahren), soweit damit nicht ein Kostenrisiko verbunden ist.23Laubinger/Repkewitz, Der Betreute im Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, VerwA 1994, 86/97.

Demgegenüber ist die Rücknahme des Antrags, soweit damit ein Anspruchsverlust verbunden ist, ein Leistungsverzicht oder ein Vergleich, durch den eine Rechtsposition aufgegeben wird, nicht lediglich rechtlich vorteilhaft. Im Sozialrecht sieht § 36 Abs. 2 SGB I dafür stets die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters vor.

Steht ein Betreuter hinsichtlich seiner Vermögenssorge unter Einwilligungsvorbehalt, fehlt ihm im Übrigen auch die Empfangszuständigkeit zur Entgegennahme von Sozialleistungen. Zahlungen ohne Zustimmung des Betreuers haben daher keine Erfüllungswirkung.24SG Marburg, Urteil vom 1.2.2016 – S 2 AL 32/14. Dies betrifft z.B. Barauszahlungen oder Kontoänderungen durch den Betreuten ohne Wissen des Betreuers.

Der Betreuer hat bei bestehendem Einwilligungsvorbehalt aber die Pflichten des § 1901 BGB zu beachten, d.h., er muss die Wünsche beachten und das Erforderlichkeitsprinzip wahren. Der Einwilligungsvorbehalt gibt dem Betreuer daher auch die Pflicht, Einwilligungen zu erteilen, damit der Betreute selbst handeln kann, z.B. bei der Geldentgegennahme, wenn dies dem Wohl des Betreuten entspricht.

V. Stellung des Betreuers bei der Behördenkommunikation

Bekannterweise wird durch die Betreuungsanordnung die zuvor bestehende Geschäftsfähigkeit des Betreuten nicht beeinträchtigt. Daher kann ein Betreuter, der nicht i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB als geschäftsunfähig anzusehen ist (und bei welchem auch kein auf die Behördenangelegenheiten bezogener Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist), gegenüber Behörden weiterhin selbstständig auftreten und wirksam Verfahrenshandlungen vornehmen, wie Anträge stellen und zurücknehmen, Bescheide entgegennehmen und Rechtsmittel einlegen.

Die Behörde kann allerdings auch bei geschäftsfähigen Betreuten von sich aus wirksam an den Betreuer (mit passendem Aufgabenkreis) kommunizieren und Bekanntgaben vornehmen.25BFH, FamRZ 2007, 1650. In diesem Zusammenhang wird die in § 1896 Abs. 4 BGB enthaltene Vorschrift gelegentlich falsch verstanden. Die Vorschrift sagt aus, dass die Entscheidung über den Fernmeldeverkehr des Betreuten und über die Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten der Post nur dann vom Aufgabenkreis des Betreuers erfasst wird, wenn das Gericht dies ausdrücklich angeordnet hat. Dies bedeutet aber lediglich, dass der Betreuer die direkt an den Betreuten gerichtete Post nur mit ausdrücklicher Übertragung dieses Aufgabenkreises (oder mit Einverständnis des Klienten) an sich umleiten und öffnen darf. Diese Vorschrift bedeutet nicht – wie aber zum Teil irrtümlich angenommen wird –, dass überhaupt nur mit dem Betreuer kommuniziert werden darf, wenn ihm der Aufgabenkreis „Postkontrolle“ übertragen wurde. Es steht Dritten, auch Behörden, frei, sich direkt an den Betreuer zu wenden, dieser darf lediglich keine Briefe an sich umleiten und öffnen, die an den Klienten selbst adressiert sind. Auf direkt an den Betreuer gerichtete Briefe hat diese Vorschrift keinen Einfluss.26Deinert/Lütgens, Betreuung und Postverkehr, BtPrax 2009, 212/214 f.

Hat sich der Betreuer davon überzeugt, dass weder rechtliche noch tatsächliche Hindernisse vorliegen, sollte er, um die Selbstbestimmung des Betreuten zu wahren, von einer eigenständigen Intervention gegenüber der Behörde absehen, um die Automatik des § 53 ZPO, der i.V.m. § 11 SGB X, § 12 VwVfG oder § 79 AO eine Handlungsunfähigkeit gegenüber der Behörde fingiert, zu vermeiden.

VI. Betreuer als Beistand

Dennoch kann es angebracht sein, seitens des Betreuers die Angelegenheit nicht völlig zu ignorieren, sondern den Betreuten vor allem bei persönlichen Vorsprachen zur Behörde zu begleiten und auch auf dessen Wunsch hin für ihn zu sprechen, ohne zugleich das Verwaltungsverfahren ausdrücklich an sich zu ziehen. Hier bietet sich die Möglichkeit an, dass der Betreuer den Betreuten als Beistand nach § 13 Abs. 3 SGB X (bzw. § 14 Abs. 4 VwVfG und § 80 Abs. 6 AO)27Diese Möglichkeit besteht im Übrigen auch im Zivilverfahren, § 90 ZPO. begleitet. Der Beistand ist dabei als Vertrauensperson zu verstehen. Dies kommt auch dem Gedanken an die „unterstützte Entscheidungsfindung“ nach Art. 12 Abs. 3 UN- BRK am nächsten.28Vgl. zum Spannungsfeld Lipp, UN-Behindertenkonvention und Betreuungsrecht, BtPrax 2010, 263.

Der Betreuer ist nach § 3 i.V.m. § 8 Abs. 1 RDG ausdrücklich zur Beratung des Betreuten berechtigt, dazu ist er nach § 1901 Abs. 3 BGB ohnehin verpflichtet, mit dem Betreuten über wichtige Angelegenheiten zu kommunizieren. Auch wenn der Betreuer als Beistand fungiert, muss der Betreute das vom Beistand Gesagte gegen sich gelten lassen, wenn er ihm nicht unverzüglich widersprochen hat. Beschränkt sich der Betreuer auf die Abgabe von Stellungnahmen, ohne selbst Anträge zu stellen, liegt kein „Vertreten“ i.S.d. § 53 ZPO vor, der Betreuer fungiert dann nur als „Sprachrohr“ des Betreuten. Der Betreute bleibt in dieser Konstellation in seiner Handlungsfähigkeit unbeschränkt.29OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 9.1.2014 – 5 UF 406/13.

Soweit der Betreuer als Beistand i.S.d. obigen Regelungen fungiert, kann er nicht seitens der Behörde (insgesamt) zurückgewiesen werden. Allerdings kann ihm die Behörde im Einzelfall den mündlichen Vortrag untersagen, wenn er zum sachdienlichen Vortrag nicht in der Lage ist. Dieses müsste durch schriftlichen Bescheid (an den Betreuer und Betreuten) begründet werden.

VII. Eintritt in das Verwaltungsverfahren durch Betreuer

Der Eintritt des Betreuers in das Verwaltungsverfahren, also das eigenständige Auftreten gegenüber der Behörde als gesetzlicher Vertreter (§ 1902 BGB) ist stets dann erforderlich, wenn:

  • der Betreute geschäftsunfähig nach § 104 Nr. 2 BGB ist;

  • ein Einwilligungsvorbehalt besteht, der das Verwaltungsverfahren betrifft und keine der obigen Ausnahmen vorliegen;

  • der Betreuer sich beim handlungsfähigen Betreuten davon überzeugt hat, dass dieser die Angelegenheit (auch mit Unterstützung) zu bewältigen nicht in der Lage ist.

Dabei ist zu beachten, dass Fristen beim geschäftsfähigen Betreuten auch ohne Kenntnisnahme des Betreuers beginnen und enden können. Von daher ist nach Betreuungsbeginn frühzeitige Kontaktaufnahme mit den Behörden sinnvoll, die in „geschäftlichem“ Kontakt mit dem Betreuten stehen, ohne dort schon eine Festsetzung zum behördlichen Schriftverkehr zu treffen. Oft wird der Betreuer schon in diesem Stadium mit Versäumnissen des Betreuten, vor allem von Mitwirkungspflichten (insbesondere im Sozialrecht, §§ 60 ff. SGB I oder im Steuerrecht) konfrontiert.

Dass ein Betreuer sich über ein laufendes Verfahren informiert, kann noch nicht als eine Verfahrensübernahme angesehen werden. Einem Betreuer müssen Informationen über ein laufendes Verfahren gegeben werden, damit er überhaupt in die Lage versetzt wird, eine Entscheidung über einen Eintritt in ein Verfahren zu treffen. In einer Entscheidung des FG Baden-Württemberg heißt es in Bezug auf ein Verfahren vor dem FG dazu: „… Einem Betreuer steht deshalb […] bereits vor Übernahme des Prozesses das Recht auf Akteneinsicht i.S. von § 78 FGO zu. Denn der Betreuer muss entscheiden (können), ob es im Interesse des Betreuten und eines ordnungsgemäßen Prozessverlaufs geboten ist, dass er das Verfahren übernimmt. Die hierzu notwendigen Erkenntnisse kann er durch Akteneinsicht gewinnen.

Würde man dem Betreuer vor Übernahme des Verfahrens ein Recht zur Akteneinsicht verweigern, sähe er sich ggf. allein zu Zwecken der Informationsbeschaffung gezwungen, die Übernahme des Verfahrens zu erklären. Dies wäre aber nicht im Sinne des Gesetzgebers, der die Privatautonomie und Selbstverantwortlichkeit des Betreuten soweit als möglich achten und schützen will. Gelangt der Betreuer aufgrund der Akteneinsicht zu der Erkenntnis, dass eine Übernahme des Verfahrens durch ihn nicht geboten ist, kann der geschäftsfähige Betreute es ohne Einschränkungen weiterführen.30FG Baden-Württemberg, BtPrax 2013, 79.

Mit der Verfahrensübernahme hat dann der Betreuer gegenüber der Behörde alle Rechte und Pflichten, die sonst der Vertretene hat, z.B. das Recht auf Beratung und Auskunft über Sozialleistungsansprüche (§§ 14, 15 SGB I), das vollständige Akteneinsichtsrecht (§§ 25, 83 SGB X, 29 VwVfG),31Im Steuerrecht gibt es kein ausdrückliches Akteneinsichtsrecht; hierzu soll den Finanzbehörden ein Ermessen zustehen, BFH vom 6.8.1965, BStBl. III, 1965, 676; BFH vom 8.6.1995, BFH/NV 1996, 64/65. aber auch die Mitwirkungspflichten (zu Details siehe weiter unten).

1. Akteneinsichtsrecht

Bei der Akteneinsicht im Sozialverwaltungsverfahren ist noch zu beachten, dass dem Betroffenen selbst die Einsicht in medizinische Befunde verweigert werden kann. Stattdessen kann sie dann in geeigneter Form durch einen Arzt vermittelt werden (§ 25 Abs. 2 SGB X). Diese Regelung, die ihren Grund in der Befürchtung hat, dass der Diagnosewortlaut beim Betroffenen eine weitere gesundheitliche Beeinträchtigung zur Folge haben kann, trifft natürlich auf den Betreuer (oder Bevollmächtigten) nicht zu. Es widerspricht des Weiteren weder dem Urheberschutz noch stellt es einen Geheimnisverrat i.S.v. § 203 StGB dar, wenn die Behörde dem Betreuer Akteneinsicht gewährt. Insbesondere ist keine Rechtsgrundlage erkennbar, wonach hierfür eine Einverständniserklärung derjenigen vonnöten sein soll, die eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben haben und deren Gutachten sich in der Akte befindet.32SG Würzburg, FamRZ 2009, 543. Das LSG Berlin-Brandenburg verlangt für die Übermittlung von Pflegegutachten an Betreuer allerdings aus (sozial-)datenschutzrechtlicher Sicht den Betreueraufgabenkreis „Gesundheitssorge“.33LSG Berlin-Brandenburg, BtPrax 2013, 78 = FamRZ 2013, 1769.

Nur bei einer für den Betreuer erkennbaren klaren Geschäftsunfähigkeit des Betreuten (oder bei einem passenden Einwilligungsvorbehalt) sollte von vornherein die Behörde aufgefordert werden, ausschließlich mit dem Betreuer zu kommunizieren; dies liegt auch im Eigeninteresse der Behörde. Denn Zustellungen an Geschäftsunfähige sind nach § 6 Abs. 1 VwZG (und entsprechenden Parallelbestimmungen der Länder) unwirksam.

Das schließt nicht aus, dass Kopien solcher Schriftstücke auch dem Betreuten übersandt werden – er soll nicht bloßes Objekt des Verwaltungshandelns sein. Leider sehen die Verfahrensvorschriften keine parallele Informationspflicht sowohl gegenüber Betreuer als auch Betreutem vor (hin und wieder wird das freiwillig praktiziert, z.B. von Jobcentern). Betreuer sollten dies im Rahmen ihrer Besprechungspflicht mit den Betreuten in geeigneter Weise einbeziehen.

Auch sollten in so gelagerten Fällen formlose Anträge auf die infrage kommenden Sozialleistungen gestellt werden (z.B. Rente, ALG II, Krankengeld, freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenkasse), allein um später eine Diskussion um Verfristung vorzubeugen. In diesen Fällen sollte darauf hingewiesen werden, dass eine von der Behörde vor Betreuungsbeginn dem später Betreuten gesetzte Frist wegen § 210 BGB nicht ablaufen konnte. Es geht bei der darin beschriebenen Ablaufhemmung um den Schutz Geschäftsunfähiger, die bei Fristablauf keinen gesetzlichen Vertreter hatten. Dieser Rechtsgrundsatz ist infolge Fehlens vergleichbarer Regelungen auch im öffentlichen Recht anwendbar.34LPK SGB X/Rixen, 2. Aufl., § 11 Rn. 9.

Ist der Betreute nach Überzeugung des Betreuers zwar nicht geschäftsunfähig, aber krankheits-/behinderungsbedingt nicht in der Lage, vorherigen behördlichen Bescheiden nachzukommen oder deren Inhalt oder Tragweite zu erfassen, sollte der Betreuer unverzüglich ab Kenntnisnahme dieses Unvermögens, z.B. anlässlich eines Hausbesuchs, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 27 SGB X, § 32 VwVfG, § 110 AO) stellen. Begründung ist hierbei das (vom Betreuten) unverschuldete Fristversäumnis. Wichtig: Der Antrag muss binnen zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Betreuers, spätestens ein Jahr nach Bescheidbekanntgabe erfolgen.

VIII. Bekanntgabe von Bescheiden an Betreuer

Durch das Eintreten des Betreuers in das Verwaltungsverfahren wird der geschäftsfähige Betreute einer nicht geschäftsfähigen Person gleichgestellt. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus § 53 ZPO, der über § 11 Abs. 3 SGB X, § 16 Abs. 3 VwVfG und § 81 Abs. 3 AO sinngemäß bei Behörden anzuwenden ist. Die Rechtsfolgen erstrecken sich auf alle Handlungen im Rahmen dieses Verwaltungsverfahrens.35SG Duisburg, BtPrax 1999, 117; SG Berlin, Beschluss vom 15.1.2002 – S 51 AL 1491/00. Der Betreute kann danach nicht mehr wirksam Bescheide dieser Behörde entgegennehmen,36FG Sachsen-Anhalt, AO-StB 2008, 242 = EFG 2008, 1001 = StE 2008, 343. den Antrag nicht mehr zurücknehmen und kein Rechtsmittel einlegen.37Vgl. auch Bienwald, Zur Vertretung des Betreuten vor Gericht, BtPrax 2001, 150.

Mit solchem Schriftverkehr, aber auch mit der direkten Einleitung eines antragsgebundenen Verwaltungsverfahrens (alle Sozialleistungsansprüche, außer Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfen in besonderen Lebenslagen nach SGB XII) durch den Betreuer, hat dieser das behördliche Verfahren an sich gezogen. An sich ist es nicht erforderlich, die Behörde ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass Schriftverkehr nun mit dem Betreuer zu führen ist, da sich dies bereits direkt aus den entsprechenden Vorschriften ergibt (§ 11 SGB X, § 12 VwVfG, § 81 AO jeweils i.V.m. § 53 ZPO sowie bei formellen Zustellungen aus § 6 VwZG), wegen der weitverbreiteten Unkenntnis der Bestimmungen in Behörden darüber wird es aber ausdrücklich empfohlen.

Ab Kenntnis der Behörde von diesem Wunsch (Kopie Betreuerausweis beifügen), ist nur noch die Bekanntgabe von Behördenbescheiden an den Betreuer rechtswirksam und fristbegründend.38Wefers, Bekanntgabe des Steuerbescheids an Vertreter und Rechtsbehelfsbefugnis; ErbR 2008, 346; LPK SGB X/Rixen, 2. Aufl., § 11 Rn. 21. Hierzu ist ggf. eine erneute Zustellung an den Betreuer nötig; lediglich zufällige Kenntnis von einem Behördenbrief (z.B. beim Hausbesuch des Betreuten) reicht nicht aus.39BVerwG, NJW 1966, 1833 = DÖV 1966, 800 = FamRZ 1966, 143; BVerwG, NJW 1994, 2633; OVG Hamburg, DVBl. 1982, 218, OVG München, DÖV, 1984, 434; Sadler, VwZG, 4. Aufl., § 7 Rn 2. Eine Gestattung der Entgegennahme der Post nach § 1896 Abs. 4 BGB ist für eine Verpflichtung der Behörde zur Kommunikation mit dem Betreuer nicht nötig.40SG Chemnitz, FamRZ 2014, 1733; vgl. auch Deinert/Lütgens, Betreuung und Postverkehr; BtPrax 2009, 212. Zur Sonderregelung bei Bußgeldbescheiden siehe weiter unten.

Stellt der Betreuer im Folgenden fest, dass der Betreute infolge Verbesserung seiner gesundheitlichen Lage wieder in der Lage ist, seine behördlichen Angelegenheiten selbst verantwortlich wahrzunehmen, hat er sich nach dem Nachrangprinzip des § 1896 Abs. 2 BGB insofern zurückzuziehen, in dem er der Behörde mitteilt, ab sofort wieder mit dem Betreuten selbst zu kommunizieren; das geht freilich nur, wenn der Betreute nicht in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist. Ist dies gesichert, ist ein Antrag auf Einschränkung des Aufgabenkreises angebracht.

Allerdings behält der Betreuer, solange der betroffene Aufgabenkreis fortbesteht, jedenfalls im Sozialrecht bei fristgebundenen Erklärungen eine Letztverantwortung für das Einhalten gesetzlicher oder behördlicher Fristen, die zur Wahrung der Ansprüche des Betreuten, z.B. auf Krankenversicherungsschutz nötig sind.41BSG, BtPrax 2003, 172 (mit Anm. Meier, 173) = FamRZ 2002, 1471 (mit Anm. Bienwald). So wurde einem Betreuer, der sich beim geschäftsfähigen Betreuten auf dessen eigenständige Antragstellung bei der Krankenkasse verlassen hatte, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verweigert, weil sich der Betreute auch das Verschulden des Betreuers für fahrlässige Versäumung zurechnen lassen muss.42BVerwG, NJW 1994, 2633; Mrozynski, Die Zurechnung des Vertreterverhaltens im Sozialrecht, FamRZ 1993, 402. Berufliche Betreuer sollten in dem Zusammenhang klären, ob Schadensersatzansprüche bei Behördenversäumnissen in der eigenen Haftpflichtversicherung mitversichert sind.

IX. Höchstpersönliche Mitwirkungspflichten

Im Sozialrecht sind höchstpersönliche Mitwirkungspflichten vorhanden. Lediglich die allgemeine Mitwirkungspflicht nach § 60 SGB I (Verwendung von Antragsvorducken, Belegbeifügung, Einwilligung in Datenerhebung von dritter Seite) kann der gesetzliche Vertreter vornehmen. Die in den §§ 61–64 SGB I genannten Tätigkeiten (Untersuchungen, Reha-Maßnahmen usw.) können nicht stellvertretend durch einen Dritten erfolgen. Dennoch ist die Aufforderung der Behörde zu solchen Mitwirkungshandlungen an den Betreuer zu richten, wenn der Betreute in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist oder der Betreuer in das Verwaltungsverfahren zuvor eingetreten ist.43SG Duisburg, BtPrax 1999, 117. Es ist dann Pflicht des Betreuers, seinen Betreuten hiervon zu unterrichten (und ihm die Notwendigkeit der Mitwirkung zu vermitteln).

Rechtsmittel gegen unzumutbare Mitwirkungsanforderungen (§ 65 SGB I) hat der Betreuer einzulegen. Behörden müssen dabei Rücksicht auf psychisch Kranke nehmen und ihnen einen möglichst barrierefreien Zugang und Umgang ermöglichen. In einem vom BSG entschiedenen Fall ging es um die Anerkennung eines Schwerbehinderungsgrades von mehr als 50 und die Zuerkennung eines entsprechenden Merkzeichens für einen Mann, der an einer speziellen Form des Autismus leidet und deshalb Schwierigkeiten im direkten Kontakt mit anderen Menschen hat. Da die Anwesenheit einer Begleitperson nicht erlaubt wurde, verließ er vorzeitig die Klinik, in der die Begutachtung stattfinden sollte. Die Behörde versagte ihm daraufhin unter Hinweis auf die fehlende Mitwirkung die Anerkennung. Das BSG entschied abschließend zugunsten des Betroffenen. Zwar müssten Behinderte bei der Feststellung ihres Behinderungsgrades mitwirken, es dürfte aber keine Mitwirkung verlangt werden, die dem Betroffenen aufgrund seiner Krankheit nicht möglich sei.44BSG, Urteil vom 14.11.2013 – B 9 SB 5/13 B.

X. Stellung des Bevollmächtigten

Die im Zustand der Geschäftsfähigkeit erteilte Vollmacht bleibt auch nach Eintritt der Geschäftsunfähigkeit wirksam,45LSG München, Urteil vom 30.9.2016 – L 1 R 673/13, NZFam 2017, 34 = LSK 2016, 74542. gegenüber Behörden gilt das Gleiche wie im bürgerlichen Recht (§ 672 BGB, § 13 Abs. 2 SGB X, § 14 Abs. 2 VwVfG, § 80 Abs. 4 AO). Tritt ein Bevollmächtigter gegenüber einer Behörde auf, hat die Behörde grundsätzlich mit ihm zu konferieren. Dies ergibt sich direkt aus dem Gesetz und muss in der Vollmachtsurkunde nicht separat gestattet werden (§ 13 Abs. 1 SGB X, § 14 Abs. 1 VwVfG, § 80 Abs. 5 AO). Formvorschriften bestehen nicht,46BVerwG, Beschluss vom 15.12.1997 – 5 B 1/97. allerdings kann die Behörde die Vorlage der schriftlichen Vollmachtsurkunde verlangen und bis dahin die Verfahrenshandlungen des Bevollmächtigten als schwebend unwirksam betrachten.47VG Düsseldorf, Beschluss vom 13.8.2004 – 13 K 4117/01. Wird die Vollmacht widerrufen (§ 671 i.V.m § 168 BGB), betrifft das die Behörde erst, wenn ihr der Widerruf mitgeteilt wurde. Der Rechtssicherheit (für die Behördentätigkeit) wurde hier seitens des Gesetzgebers der Vorrang vor etwaigen datenschutzrechtlichen Bedenken eingeräumt.

1. Zurückweisung von Bevollmächtigten

Die Behörde kann den Bevollmächtigten zurückweisen, sich also weigern, den Sachverhalt mit ihm zu erörtern, ihm Akteneinsicht zu gestatten und den Schriftverkehr mit ihm zu führen. Das kann dann erfolgen, wenn der Bevollmächtigte unter Verstoß gegen § 3 RDG tätig ist. Wie bereits erwähnt, wird Personen, die nicht nach Berufsrecht Rechtsvertretung wahrnehmen dürfen (also vor allem Anwälten, Notaren und im Steuerrecht Steuerberatern) nur die unentgeltliche Rechtsbesorgung gestattet, und dies auch nur im engen sozialen Umfeld (§ 6 Abs. 2 RDG). Ist der Bevollmächtigte zum sachgerechten mündlichen Vortrag nicht imstande, kann die Behörde Letzteren zurückweisen.

2. Bekanntgabe von Bescheiden an Bevollmächtigte

Auch Behördenbescheide sind an den Bevollmächtigten bekannt zu geben (§ 13 Abs. 3 SGB X, § 14 Abs. 3 VwVfG, § 80 Abs. 5 AO, § 7 VwZG). Allerdings gestatten die Verfahrensbestimmungen weiterhin auch eine Bekanntgabe an den Vollmachtgeber, hierin unterscheidet sich das Recht von der Verfahrensweise gegenüber dem gesetzlichen Vertreter. Letzteres gilt insbesondere für die Endbescheide (den eigentlichen Verwaltungsakt, also den Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheid). Die Behörde kann nach eigenem Ermessen wählen, wem der Bescheid bekannt gegeben wird48BVerwG, BayVBl. 1998, 374; SG München, Beschluss vom 6.12.2016 – S 51 AS 2390/16 ER; bestätigt durch LSG München, Beschluss vom 23.2.2017 – L 15 AS 44/17 B ER. (§ 37 SGB X, § 41 VwVfG, § 122 AO). Der Bevollmächtigte hat auch kein eigenes subjektives Recht, dagegen anzugehen, wenn sich die Behörde trotz der Bevollmächtigung an den Beteiligten selbst wendet.49Hessischer VGH, NVwZ 2000, 207.

Allerdings hat die Behörde bei Fristversäumnissen infolge Bekanntgabe nur an den Vollmachtgeber die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu geben.50VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 929.6.1987 – 7 S 243/87, ähnl. LSG Bremen, Beschluss vom 1.3.1990 – L 1 J 28/87. Empfangsberechtigt bei formellen Zustellungen ist nach § 7 VwZG (und entsprechenden Parallelbestimmungen der Bundesländer) allerdings nur der Bevollmächtigte.51LPK SGB X/Rixen, 2. Aufl., § 13 Rn. 20.

Die Behörde kann sich auch an den Betroffenen selbst wenden, wenn eine (sozialrechtliche) Mitwirkungspflicht (§§ 21 SGB X, 60 ff. SGB I) besteht. Sollte der Vollmachtgeber geschäftsunfähig geworden sein, ist es deshalb für den Bevollmächtigten wichtig, die Behörde über diesen Umstand zu informieren.

XI. Sonderregelungen im Bußgeldverfahren

Die vorstehend beschriebenen Regelungen sind nicht anzuwenden, wenn der Betreute von einem Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) betroffen ist, also gegen ihn ein Bußgeld verhängt wird. Zwar ist dies auch eine Maßnahme einer Verwaltungsbehörde (die durch Landesrecht bestimmt wird, häufig die kommunale Ordnungsbehörde), allerdings ist auf das Verfahren weitgehend die StPO anzuwenden.

Für die Zustellung des Bußgeldbescheids gilt nach § 51 OWiG ausdrücklich § 6 VwZG, also die Zustellung an den Betreuer, nicht. Stattdessen ist an den Betroffenen persönlich zuzustellen, der gesetzliche Vertreter wird nur verständigt. Für den Lauf der Frist gilt die Bekanntgabe an den Betroffenen.52OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14.4.1982 – 5 Ss OWi 92/81 I, VRS 63, 276. Zwar kann der Betreuer nach § 67 OWiG i.V.m. § 298 StPO ebenfalls Rechtsmittel einlegen (Einspruch binnen zwei Wochen), über welches das AG entscheidet. Die Stellung des Betreuten wird aber anders als in anderen Verwaltungsverfahren durch das Betreuerhandeln nicht eingeschränkt.

Zum Aufgabenkreis des Betreuers im Rahmen von Bußgeldverfahren sind keine Entscheidungen bekannt. Für Rechtsmitteleinlegung im Strafprozess ist die überwiegende Auffassung in der Rechtsprechung, dass der Aufgabenkreis „Behördenangelegenheiten“ nicht ausreicht, sondern eine Vertretung in Strafsachen (oder allen Angelegenheiten) notwendig ist.53BGH, Beschluss vom 2.9.2013 – 1 StR 369/13, StraFo 2013, 469; OLG Dresden, Beschluss vom 5.2.2015 – 2 OLG 21 Ss 734/14 – juris; OLG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013, 2 Ws 25/13, 2 Ws 23–25/13, 2 Ws 23/13, 2 Ws 24/13, 2 Ws 23 – 25/13 – 605 StVK 13–15/13: OLG Schleswig, NJW RR 2008, 91 = MDR 2007, 1263 = FGPrax 2007, 231= FamRZ 2008, 187 (Ls.); OLG Frankfurt, NJW RR 2005, 1166; OLG Hamm, NJW 2006, 1144 = FamRZ 2006, 576 (Ls.), NStZ 2008, 119; offengelassen von OLG Hamm, Beschluss vom 28.4.2016 – 4 Ws 108/16. Ein Teil der Rechtsprechung hält allerdings den Aufgabenkreis „Behördenangelegenheiten“ für ausreichend.54KG Berlin, Beschluss vom 21.3.2001 – 1 AR 239/01 – juris; OLG Düsseldorf, Rpfleger 1996, 81.

XII. Eigenhaftung gegenüber Behörden

Üblicherweise werden schuldhafte Pflichtverletzungen des Betreuers (oder Bevollmächtigten) dem Vertretenen zugerechnet. Im Zivilrecht ergibt sich das aus § 278 BGB. Aber auch im Verwaltungsrecht wird hierauf Bezug genommen (z.B. § 27 SGB X, § 32 VwVfG, § 110 AO, jeweils für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand) oder bei fehlerhaften Steuererklärungen (§ 70 AO).55BFH, Urteil vom 28.7.2011 – VIII B 18/11, BFH/NV 2011, 1844. Auch Rechtsmittelbelehrungen bei Behördenbescheiden (§§ 36 SGB X, 37 Abs. 6 VwVfG) enthalten einen entsprechenden Zurechnungshinweis. Im Ergebnis bedeutet dies, dass z.B. eine Fristversäumung des Vertreters bei Antrags- oder Rechtsmittelfristen dem Vertretenen einen Schaden verursacht, weil Leistungsansprüche nicht erfüllt werden oder (vermeidbare) Zahlungspflichten entstehen.56Z.B. Verlust des Krankenversicherungsschutzes: BSG, BtPrax 2003, 172 (mit Anm. Meier, 173) = FamRZ 2002, 1471 (mit Anm. Bienwald); BSG, NZS 2009, 281. Ist die Pflichtverletzung schuldhaft erfolgt, hat der Vertretene allerdings einen Schadensersatzanspruch gegen den Betreuer oder Bevollmächtigten (§ 1833 i.V.m. §§ 1908i, 276 BGB).57OLG Brandenburg, FamRZ 2008, 916; LG Dessau, BtPrax 2010, 192 = FamRZ 2010, 1011; OLG Nürnberg, BtPrax 2013, 70.

Unter bestimmten Umständen kann es aber auch zu einer Eigenhaftung des Betreuers oder Bevollmächtigten gegenüber einer Behörde kommen. Es gibt in mehreren Bereichen spezielle Haftungsnormen, die direkt auf den Vertreter abzielen. 

So ist im Sozialhilferecht eine eigene Haftung des Vertreters direkt gegenüber der Behörde gegeben, wenn der Vertreter des Hilfesuchenden falsche Angaben gemacht hat oder aber einen zugunsten des Vertretenen fehlerhaften Bescheid der Behörde als solchen nicht erkannt und dementsprechend nicht beanstandet hat.58BayVGH, Beschluss vom 26.5.2003 – 12 B 99.2576, FamRZ 2004, 491; SG Karlsruhe, Urteil vom 27.8.2009 – S 1 SO 182/09, BtPrax 2009, 312 = FamRZ 2010, 235. Diese Haftung ergibt sich bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Vertreters direkt aus den §§ 103 und 104 SGB XII,59SG Karlsruhe, BtPrax 2009, 312 = FamRZ 2010, 235; BayVGH, FamRZ 2004, 491, vgl. auch Rosenow, Der neue Kostenersatzanspruch gegen den Vertreter des Sozialhilfeempfängers; BtMan 2005, 29. eine Inanspruchnahme des Hilfeempfängers selbst ist im Sozialrecht in solchen Fällen in der Regel nicht möglich, weil der Betreute bei Verbrauch der Leistungen den sogenannten Vertrauensschutz nach § 45 SGB X genießt. Im ALGII-Recht trifft § 34a SGB II eine ähnliche Regelung. Bei steuerlichen Angelegenheiten schuldet der Betreuer oder Bevollmächtigte über § 69 AO den durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit verschuldeten Steuerschaden.

Allerdings muss man einem Betreuer (und Bevollmächtigten) ausreichend Zeit zubilligen, um zu erfassen, was wichtig ist, welche Anträge gestellt werden müssen und welche Informationen weiterzugeben sind. Gerade zu Beginn der Tätigkeit sehen sich die Vertreter häufig mit einer Vielzahl von unsortierten oder auch unvollständigen Unterlagen konfrontiert und es nimmt in solchen Fällen naturgemäß einige Zeit in Anspruch, einen ausreichenden Überblick zu gewinnen und die erforderlichen Schritte erkennen zu können.

In einem vom LSG entschiedenen Fall konnte die Betroffene selbst eine gesetzliche Frist aufgrund ihrer Erkrankung nicht einhalten, der Beginn der 14-Tage-Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung (z.B. nach § 27 SGB X) beginnt dann nicht bereits mit der Betreuerbestellung (§ 287 Abs. 1 bzw. 2 FamFG), sondern erst dann, wenn der Betreuer von dem Vorgang ausreichende Kenntnis erhalten hat oder bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hätte erhalten können. Dass kann unter Umständen auch erst etliche Wochen oder auch Monate nach Einrichtung der Betreuung der Fall sein.60LSG Berlin, BtPrax 2001, 126 ff. mit Anm. Meier, BtPrax 2001, 108.

Bei einem Vorsorgebevollmächtigten wird man sinngemäß darauf abzustellen haben, wann dieser von dem Unvermögen des Vollmachtgebers, seine Angelegenheiten zu besorgen, Kenntnis erhalten hat bzw. davon, wann ihm die Vollmachtsurkunde durch eine dritte Person (z.B. den beurkundenden Notar) ausgehändigt wurde.

Zusätzlich gibt es zahlreiche Bußgeldvorschriften, die Verletzungen der Mitwirkungspflichten nach den SGB und ähnliche Sachverhalte betreffen und die – zumindest i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 3 OWiG – auch auf Betreuer angewendet werden können. Unter anderem handelt es sich um § 63 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 SGB II (Bußgeld bis 5.000 € bei Verletzung von Mitteilungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I); § 404 SGB III; § 320 SGB VI; § 121 SGB 11; § 12 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (unterbliebene Anmeldung beim Beitragsservice); §§ 58 Abs. 1 BAföG, 14 DarlehensVO (Unterlassen von für die Rückzahlung von darlehensweise erhaltenen Leistungen nach BAföG wesentlichen Mitteilungen an das Bundesverwaltungsamt). Außerdem enthält das seit 1.11.2015 geltende Bundesmeldegesetz eine Bußgeldvorschrift für den Fall, dass ein Umzug nicht bzw. nicht rechtzeitig gemeldet wird, sofern der Betreuer den Aufgabenkreis „Aufenthaltsbestimmung“ innehat. Die Bußgeldbestimmungen sind allerdings nicht auf Bevollmächtigte anzuwenden.

XIII. Inanspruchnahme nach Polizei- und Ordnungsrecht

Unter bestimmten Umständen kann auch Verwaltungszwang gegen Betreuer (nicht gegen Bevollmächtigte) angewendet werden. Dies betrifft Sachverhalte, in denen durch das Verhalten einer Person oder den (nicht ordnungsgemäßen) Zustand einer Sache Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehen.

In vielen Spezialgesetzen und auch in den Polizei- und Ordnungsbehördengesetzen der Länder wird den zuständigen Behörden die Befugnis eingeräumt, in solchen Fällen Maßnahmen zu ergreifen, um die Gefahr zu beseitigen. Vor allem kann der für ein Verhalten oder eine Sache verantwortlichen Person aufgegeben werden, das gefährdende Verhalten einzustellen oder die von einer Sache ausgehende Gefährdung zu beseitigen. Kommt der Verpflichtete dem nicht nach, kann die Behörde versuchen, das gewünschte Verhalten durch Zwangsmittel (Androhung oder Festsetzung von Zwangsgeld, Zwangshaft oder auch die Anwendung von unmittelbarem Zwang) durchzusetzen. Die Behörde kann die gewünschte Handlung aber auch selbst vornehmen oder selbst eine geeignete Firma damit beauftragen. Die Kosten einer solchen sogenannten Ersatzvornahme müssen dann von dem Verpflichteten ersetzt werden.

Auch ein Betreuer kann Adressat solcher Verfügungen werden, falls der Betreute sich krankheitsbedingt nicht um seine Angelegenheiten kümmern kann und ihm ein Betreuer zur Seite gestellt wurde. Abgestellt wird in den einzelnen Bestimmungen i.d.R. auf den Aufgabenkreis des Betreuers; meist bezogen auf „alle Angelegenheiten“, „Personensorge“ oder „Beaufsichtigung“.61Übersicht der Landesbestimmungen bei HKBUR/Deinert-Lütgens, § 1833 BGB Rn. 221.

Allerdings kann ein Betreuer von einer Bauordnungsbehörde für Gefahren, die von einem baufälligen Haus des Betreuten ausgehen, nicht persönlich in Anspruch genommen werden. Der Betreuer ist nicht Inhaber der tatsächlichen Gewalt über das Grundstück des Betreuten. Die Regeln über die Stellvertretung finden auf den Besitz als tatsächliches Verhältnis keine Anwendung. Der Aufwendungsersatzanspruch des Betreuers nach § 1835 BGB bildet keine Grundlage zur Erstattung von Maßnahmen der Gefahrenabwehr.62VG Potsdam, BtPrax 2013, 35 mit Anm. Hippel, in: bdb aspekte 68/2010, 21.

Auch beim Tod von Betreuten kommt ein Verwaltungszwang zur Durchsetzung einer Bestattung gegen den bisherigen Betreuer mangels Bestattungspflicht aus dem ehemaligen Betreuungsverhältnis nicht in Betracht.63VG Leipzig, FamRZ 2007, 1686. Anders kann es allerdings aussehen, wenn ein Angehöriger des Betreuten verstorben ist und der Betreute bestattungspflichtig, dazu aber krankheitsbedingt nicht in der Lage ist. In diesem Fall wird man den Betreuer nach allgemeinem Ordnungsrecht in Anspruch nehmen können. Die Ausnahme davon wiederum ist gegeben, wenn das jeweilige Landesbestattungsgesetz die Bestattungspflicht von der Geschäftsfähigkeit des Bestattungspflichtigen abhängig macht64So in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen, vgl. zu Details Deinert, Zur Bestattungspflicht von Betreuern, BtPrax 2016, 96. und diese nicht vorliegt.65VG Ansbach, BtPrax 2015, 79.

XIV. Besonderer Vertreter im Verwaltungsverfahren

Ist kein Betreuer bestellt und auch kein (geeigneter) Bevollmächtigter vorhanden, der Beteiligte aber nach behördlicher Überzeugung als geschäftsunfähig anzusehen, hat die Behörde beim Betreuungsgericht die Bestellung eines besonderen Vertreters für das Verwaltungsverfahren zu beantragen (§ 15 SGB X, § 16 VwVfG des Bundes und Parallelbestimmungen der Bundesländer, § 81 AO). Diese Person hat gegenüber der antragstellenden Behörde die gleichen Rechte wie ein Betreuer. Diese Art der Vertreterbestellung ist in der Praxis sehr selten, weil sich in dem gerichtlichen Verfahren weiterer Vertretungsbedarf ergibt. Der besondere Vertreter im Verwaltungsverfahren hat abweichend von den Bestimmungen des Betreuungsrechts Anspruch auf Aufwendungsersatz und Vergütung gegenüber der antragstellenden Behörde. Die Ansprüche sind – sofern und soweit sie bestehen – von der zuständigen Behörde durch Verwaltungsakt festzusetzen.66VG Weimar, Urteil vom 25.2.1999 – 8 E 3001/98.We, ThürVBl. 1999, 143; VG Frankfurt/Oder, Urteil vom 21.2.2004 – 5 K 1060/98; VG Berlin, Urteil vom 4.7.2007 – 1 A 97.06. Streitigkeiten darüber sind, soweit strittig, von der jeweiligen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu entscheiden.